Ich habe einen Großvater adoptiert.

Das war keine überlegte Entscheidung, sondern völlig spontan. Da ich bisweilen (vor allem wegen meines Hangs, Fußballspiele in Kneipen zu sehen) in Lokalitäten zweifelhaften Rufs verkehre, bleiben mir hin und wieder Gespräche über Migration und Flüchtlingspolitik nicht erspart; und was soll ich sagen, sie verlaufen selten erfreulich. Fremdenfeindliche Ressentiments, Empathielosigkeit, bisweilen offener Rassismus – aus solchen Auseinandersetzungen kommt man oft genug raus mit der Überzeugung, es sei ein Wunder, dass es keine rechtspopulistische Partei jenseits von 20 Prozent in Deutschland gibt.

Ich bin in diesen Gesprächen immer wieder verzweifelt: an der Faktenresistenz, an der Betonhärte der Phrasen, an der Unmöglichkeit, in einen Dialog zu gelangen; es war immer, immer, immer so, als würde ich mit einem Radio sprechen.

Was sich obendrein als völlig sinnlos erwiesen hat: den Hintergrund der Parolen zu benennen. Der Hinweis, dieser oder jener Satz sei reiner Rassismus, wird viel zu oft mit Achselzucken beantwortet. Ja, mein Gott, dann war das halt rassistisch, stimmen tuts trotzdem.

Bis ich neulich, bei einem Gespräch über Ausländerkriminalität am Nachbartisch, nicht lange nachdachte und einfach fragte: Meinste mich? Das war mir so rausgerutscht, und ich war wahrscheinlich genauso überrascht wie die Leute neben mir. Woher ich denn käme, fragte mich der Wortführer, da sagte ich, ich hätte einen algerischen Großvater. Keine Ahnung, wie ich darauf gekommen bin; vielleicht hat mit eine Rolle gespielt, dass ich vor kurzem gehört habe, eine meiner Urgroßmütter sei eine rumänische Sinti gewesen, und mir das aber als authentifizierende Herleitung zu lang vorkam.

Der Effekt war interessant: Gezwungen, nicht mehr eine undefinierte Masse an Leuten zu verdammen, sondern ein konkretes Wesen anzugehen, schämten sich die Leute tatsächlich und kamen schnell auf ein anderes Gesprächsthema. (Autos, glaube ich.)

Leute zu überzeugen, die offen rassistische Ressentiments äußern, hab ich aufgegeben; es geht nur noch um den Kampf der Öffentlichkeit. Ziel muss sein, solche Äußerungen zurückzudrängen, nicht, die Leute zu besseren Menschen zu erziehen. Und wenn es hilft, dafür einen Großvater zu adoptieren, dann ist das doch ein willkommener Familienzuwachs.

(Wiedervorlage. Original am 26. Mai auf FB gepostet)