Platini alors. Ich will da gar nicht weiter mitspekulieren. Ich will nur eine kleine Geschichte erzählen. Die geht so:

Es ist der 29. Mai 1985, das Finale des Europapokals der Landesmeister, Juventus Turin gegen den FC Liverpool. Sich heute das Spiel anzusehen – aktuell ist ein Mitschnitt mit englischem Kommentar auf youtube – ist ein surreales Erlebnis. Nach einem Blocksturm Liverpooler Hooligans brach eine Massenpanik aus, 39 Menschen wurden getötet, 454 verletzt.

Schaut man sich heute die Übertragung an, man würde nicht drauf kommen, wenn mans nicht wüsste. Am Anfang sieht man zwar einen verwüsteten Block mit vollarmierten Polizisten davor, nach denen ein zwei Juve-Fans Steine werfen; und man sieht auch am oberen Spielfeldrand die Reihe schwarzgekleideter Sicherheitsleute, eng bei eng, die das Wesentliche – das Spiel – von der Fassade – die Menschen im Stadion – trennen. Aber nichts weist darauf hin, dass hier vor wenigen Minuten eine der größten Tragödien des europäischen Fußballs stattgefunden hat; sogar die Zuschauer, die übriggebliebenen, hört man im Hintergrund immer wieder rufen und singen. Der Kommentator sagt sinngemäß, es sei eine Qualität des Fußballs, uns wenigstens für die nächsten anderthalb Stunden vergessen zu lassen, was sich vor dem Spiel für Szenen abgespielt hätten.

Dann, die 56. Minute: Platini schickt nach einem abgefangenen Angriff Boniek, der sich gegen zwei vor den Stafraum wurschtelt und dort hinfällt. Der Schiedsrichter pfeift und gibt Elfmeter, niemand protestiert, heute wäre bei so einer Fehleinschätzung jeder zweite Profitrainer aus dem Stadion gerannt und hätte eigenhändig drei oder vier Autos angezündet. Boniek aber freut sich, ballt die Hand zur Faust und sieht erwartungsvoll Platini entgegen, der das Ding jetzt schaukeln soll.

Und das tut er auch. Links unten, nicht sehr platziert, aber den Torhüter verladen, einsnull; und dann läuft er los, hopst ein bisschen, reißt zweimal die rechte Faust hoch und kuckt kurz in die Kurve, dann wird er von seinen Mitspielern begraben. Man hört im Hintergrund leicht den Ton hochgehen.

Einige Monate später wird Platini Marguerite Duras sagen, er sei an jenem Abend zum Mann geworden. In einem Interview 1986 erklärt er, die Spieler hätten vom Blocksturm gewusst, aber er habe keine Sekunde an die Toten gedacht. Warum nicht, fragt der Reporter, und Platini:

„Das müssten Sie einen Psychiater fragen.“