Mir tut jeder leid, der gestern Abend das Spiel hat analysieren müssen. Es gab ja nichts zu sehen, was nicht jeder gesehen hat. Das war ein Spiel für alle, da gibt es kein Geheimnis zu entschlüsseln. Man müsste das gar nicht auseinanderdröseln, nur Bilder zeigen.

Ich erinnere mich, nach dem ersten deutschen Tor gesagt zu haben: „Schade, bis jetzt war es ein großartiges Fußballspiel.“ Danach sah das Spielfeld aus wie eine Schlachtplatte. Es tat beinah physisch weh zu sehen, dass es immer noch einzelne brasilianische Spieler gab, die versuchten, sich zu wehren. Großes Lob an Maicon an dieser Stelle.

Die Schönheit kindlichen Staunens. Natürlich, das erste Tor darf so nicht fallen, das zweite auch nicht, wenn nicht Fernandinho (wars doch, oder?) sich am Querpass verschätzt – ebenjener, der dann auch das viernull verbaselt.
Nichtsdestotrotz ist ja dieses Spiel und die dadurch ausgelöste Begeisterung eigentlich die beste Bestätigung für schönen Fußball – dieses Gefühl, wenn man vor dem Fernseher sitzt und sich fragt: Was geht denn los da rein? Zur Hölle?

Heute Morgen dann immer noch ein Gefühl tiefen Glücks: auch über das eigene Unwissen. Dass Kroos bester Spieler auf dem Platz gewesen ist, kann selbst ich nicht übersehen haben. Ein Ergebnis, ein Spiel auch, das einen zum Einverständnis mit vielen zwingt, muss ein Meisterwerk sein.

Aber Meisterwerke sind tückisch, wenn sie interpretiert werden.

„Welch harmonische Ordnung auf dem Rasen hatte er geschaffen. Eine Mannschaft ohne Schwachpunkt fuhr Angriff um Angriff. Was hatten wir eitlen Menschenkinder nicht diskutiert über Algerien, Innenverteidiger, Außenverteidiger, Wohin-mit-Lahm. Gegen Brasilien verflogen alle Debatten, und alle Teile der Löw-Elf fügten sich wie durch eine magische Hand zu schöner Vollendung.“

Das sagt Oliver Fritsch auf zeit.de, und es gibt nichts, mit dem ich weniger einverstanden sein könnte. Ist es das, was mich daran stört, wenn Deutschland nicht nur gewinnt, sondern – ein Wort, das ich nur mit Widerwillen hinschreibe – triumphiert? Wenn selbst hervorragende Sportjournalisten, wie Oliver Fritsch es ohne Frage einer der wenigen ist, sich selbst zu einem „armen Menschenkind“ macht, um den großen Sieg noch größer zu machen und eine „magische Hand“ beschwört, sagen wir es anders, ein Schicksal, eine Bestimmung erfüllt, auf magisch-archaische Bilder zurückgreift? Warum diese Überhöhung? Fehlen da die Worte?

Diese Kindlichkeit, wie lang darf man sie sich erlauben? Die Seeligkeit, Zuckerwatte geschenkt zu bekommen, ohne alle Fragen dazu – wie oft wird die Maschine geputzt, wer hat da schon alles reingerotzt, was ist mit den Kindern, die auch gern Zuckerwatte hätten, aber nicht dürfen – wie lang darf sie anhalten? Wie lange schwelgen, ohne die „Gönnerhaftigkeit und so, als wenn man alles hat und nichts mehr braucht“ (Huck)?

Teil einer Unwirklichkeit gewesen zu sein: Ich erinnere mich deutlich an die Szene in den Tagesthemen, als Claus Kleber verzweifelt versuchte, einen Übergang zwischen dem Korrespondenten in Tel Aviv und jenem im Belo Horizonte zu schaffen. Es war markerschütternd, wie der eine fortwährend über Emotionen sprach und darüber, was gerade unglaubliches geschehen war, und der andere sachlich blieb, nicht die Reaktionen der Anwesenden beschrieb, nicht in Emotionalität verfiel, und insgesamt viel weniger aufgeregt und mitgenommen wirkte. Überflüssig zu erwähnen, wer wer war.