Lesen Sie bitte zunächst einmal diesen Artikel über Romario, bevor Sie hier weitermachen, ansonsten haben Sie von den folgenden Zeilen nicht so viel.

Wieder da? Nun gut.

Ich habe diesen Artikel gestern mit Freude gelesen; nicht so gerne wie dieses Stück über den amerikanischen Bürgerkrieg, aber doch sehr gerne; aber gestern schon schlich sich in mein hitzevernebeltes Hirn der Gedanke, das an dem Text etwas nicht stimmt, und zwar ganz grundsätzlich.

Ich weiß jetzt, nach einigen Minuten Schlaf, auch, was das ist: Er stimmt zu sehr. Er ist zu glatt. Die Geschichte ist zu sauber, sie geht zu gut weg.

Es fängt schon damit an, wie Romario eingeführt wird: nicht etwa als Quertreiber, auch nicht als Paria, was beides denkbar gewesen wäre, sondern als souveräner Rebell, der sich den Gepflogenheiten eines korrupten Politikbetriebs widersetzt; der, ganz Antipolitiker, sich dem Volk zuwendet statt dem Wähler, der alle meint, die ganze Gemeinschaft, vor allem jene, die von den anderen vergessen werden; da wissen wir noch nicht, dass das vor allem die Armen, Schwachen, Ausgestoßenen sind, aber wir ahnen es schon.

Romario also, das klingt zwischen den Zeilen immer wieder durch, war ein genialer Fußballer, hinterhältig und verschlagen wie seinerzeit nur Pippo Inzaghi (das steht da nicht), außerhalb des Platzes ein Hallodri, der das Leben zu genießen wußte; er hätte dieses sein Leben voller Jux und Dollerei weiterführen können, er hätte eine der unzähligen Plastikdenkmale seiner selbst werden können, wie es viele begnadete brailianische Fußballer geworden sind, sich einen Posten ergattern können und sein Geld verprassen; ein Fall für die Bunte, man denkt an die Geschichte mit dem verlorenen Sohn, der es am Ende aber doch in die Zeit geschafft hat.

Denn es kam der Bruch, der karthartische Moment (den Marian Blasberg zunächst noch ausspart): seither ist er ein Politiker, ein echter, der arbeitet und Sachen macht für die Armen, Schwachen, Ausgestoßenen; einer, dem kultische Verehrung gebührt, wie man sie hierzulande nur noch Toten entgegenbringt, Liebknecht, Luxemburg, Jaurès. Ein Fußball-Sozialist.

How comes? Oder in den Worten Marian Blasbergs: „Was also ist passiert mit diesem Mann?“

Die Läuterung kam durch den Geburtskanal seiner Exfrau und hat Trisomie 21; seine Tochter Ivy.

Wenn man so will, markiert dieser besondere emotionale Moment auf dem Spielfeld exakt den Wendepunkt in Romários Leben. „Ohne Ivy“, sagt er, „säße ich nicht hier.“ Es sei ein Schock für ihn gewesen, sagt Romário, als er die Diagnose gehört habe. Mit so etwas wie einer Behinderung habe er nie zu tun gehabt. Es seien Wochen gewesen, in denen er sich fragte, was er falsch gemacht habe. Aber dann machte etwas Klick, irgendein Schalter habe sich umgelegt. Romário dachte: Vielleicht ist Ivy eine Botschaft, ein sonderbares Geschenk, das mir der liebe Gott in den Schoß gelegt hat.

Auch das ist eine Erzählung, die man kennt: dass Eltern mit behinderten Kindern deren Geburt als Prüfung begreifen, als Aufgabe und Herausforderung, gerne auch göttlich überhöht. Ein bisschen Hiob, möchte man meinen, und ein bisschen Jesus Christus auch. Etwas, das sie in ihrem Innersten umkrempelt, exemplarisch bei Romario:

Er erfährt etwas, das er in den Nächten auf der Piste nie gefunden hat, eine unschuldige Liebe, eine Beziehung ohne Hintergedanken. „Es ist wichtig, Dinge zu geben, ohne zu erwarten, dass man etwas zurückbekommt. Ich habe früher sehr viel falsch gemacht“, sagt Romário.

Wir haben hier also die Geschichte des genialen Tunichtgut, des nachlässigen, egozentrischen Stars, der durch die Konfrontation mit etwas Höherem, Reellerem geläutert wird und zu schenken lernt; wobei das Höhere, Reellere die Behinderung der Tochter ist (nicht etwa die Tochter, ein Kind reicht nicht aus, sonst hätte das auch der Sohn geschafft, dessentwegen er jetzt Champagnergläser zerschmeißt), nein, es muss schon ein besonderes Kind sein, das ihn zur Einsicht zwingt.

Nach dem zweiten Lesen zerfällt mir der Text in viele kleine christliche Bruchstücke, in Mythen und althergebrachte Erzählungen. Zusammengehalten wird das Ganze mit ein bisschen Rührseligkeit, einer kleinen Dosis Pathos und eine Figur zum Hauptdarsteller hat, die man hier nicht allzugenau kennt, aber deren Namen man schon mehrfach gehört hat. (Über keinen deutschen Spieler könnte man so schreiben.)

Um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen: das ist ein hervorragendes Stück, rund und mit Tempo, kenntnisreich und sauber formuliert. Aber vielleicht ist gerade das das Problem, das es nirgendwo hakt und derart glattgeschliffen ist, dass einem die Geschichte durch die Finger flutscht. Es ist ein Gefühl, dass mich bei Zeit-Artikeln oft befällt: Was man dort für guten Journalismus hält, ist allzuoft nur schlechte Literatur.

(To do: Eine Hagiographie Romarios schreiben, oder vielleicht besser noch: eine Entsprechung finden, die man hier besser kennt als nur vom Namen her und ein paar Toren in Gelb; aber wer könnte das sein?)