— Schnipp —

An dieser Patriotismusdebatte kommt mir alles falsch vor.

Das fängt mit den Flaggen und Seitenspiegelschonern an. Patriotismus sei die Liebe zum eigenen Land, aber was ist denn das für eine Liebe, die man mit solchen Wegwerfaccessoires feiert? Die Leute feiern ihre Verbundenheit mit billigem Plastikschrott, der kaum zwei Wochen alt schon auf dem Müll landet? Wäre ich Deutschland, ich wär ganz schön sauer über diese Lieblosigkeit. Bin ich ein Flittchen, dass alle zwei Jahre die Beine breit machen darf, und das man noch nicht einmal verführen muss, keine Blumen, kein Essen, keine schönen Worte – bloß eine beschissene Vuvuzela in meinen Farben? Wofür halten die mich denn eigentlich?

Entschuldigung, hab mich reingesteigert. Jedenfalls: Das ist auch kein Partypatriotismus, sondern (wie Johannes Jander schon 2006 schrieb) postpatriotischer Partyotismus, der mit „Solz aufs Vaterland“ nichts mehr zu tun hat. Man muss sich nur einmal ansehen, wie viele Produkte in schwarzrotgold in den Supermärkten inzwischen feilgeboten werden: ein Flutschfinger, der aussieht wie nach einer proktologischen Untersuchung. Toilettenpapier. Eine Klobürste. Deutlicher kann man Deutschland nicht sagen, das es am Arsch ist. Würde man das in einer Galerie und nicht in einem Supermarkt machen, käme auf der Stelle irgendein CDU-Fuzzi mit § 90a StGB herangewedelt. Von demher habe ich eher Mitleid mit den Konservativen, die tatsächlich Liebe für ihr Vaterland empfinden, da es vor ihren Augen vom Kapitalismus unsittlich berührt wird.

Ich verstehe die Kritik, die am aufkeimenden Nationalismus geübt wird, weil er bedrohlich ist und so weiter. Trotzdem hat der Einspruch gegen die Autobeflaggung etwas ritualisiertes: es wird nicht mehr gestritten, um sich zu überzeugen, es geht um Selbstvergewisserung. Wer eine Meinung zu dem Thema hat, hat sie aus 2006, spätestens 2008 herübergerettet und kommt davon in den seltensten Fällen weg. Es ist eine festgefahrene, fruchtlose Diskussion, und ich bin etwas enttäuscht, dass uns, den Kritikern, nichts eingefallen ist, das ähnlich witzig und hintertrieben ist wie eine schwarzrotgoldene Klobürste. 2014 müssen wir das besser machen.

— Schnipp —

Ich habe ohnehin ein größeres Problem mit der Party, nicht mit dem Patriotismus. Die Erwartungshaltung, die vor dem Turnier aufgebaut wurde (beste Mannschaft aller Zeiten, wenn überhaupt kann nur Spanien uns stoppen, bla), die offensichtliche Ahnungslosigkeit weiter Teile der Öffentlichkeit, obendrein das Desinteresse am Sport an sich, all das hat mich von Anfang an sehr ermüdet (EMüdet, haha). Dieser Wille, wirklich jeden in diesem Land miteinzugliedern in dieses Event, tut mir nicht gut: Ich kriege Ausschlag, wenn sowohl 11freunde als auch Spox auf Facebook mit anbiedernden Fragen kommt. Mach mit! Gib uns Deinen Klick! Die User haben entschieden: Klose statt Gomez! Als ob das irgendeine Bedeutung hätte. Obendrein dieser Konformismus: wie viele Witze über Griechenland habe ich gehört? Und Cristiano Ronaldo? Wie oft bin ich auf die Monthy Pythons hingewiesen worden? Und wann bin ich ein derartiger Snob geworden, dass ich mich darüber aufrege?

— Schnipp —

— Schnipp —

Balotelli, schrieb (glaube ich) die Gazetta dello Sport, sei das Symbol eines neuen Italiens. Ähnliches hört man immer wieder über die deutsche Nationalmannschaft, meistens mit dem Zusatz, dass sie mit ihrer begeisternden Spielweise halt auch irgendwie südländisch ist und so. Hier, zum Beispiel Martin Hyun: „Als Multikultitruppe entwickelte sie neues Denken, eine andere Spielweise und schuf dadurch eine neue Identität.“ Als Multikultitruppe? Wie bitte? Wäre es ein grundlegend anderes Denken, eine andere Spielweise, wenn man die komplette Mannschaft arisiert? Sagen wir: Neuer – Lahm, Hummels, Badstuber, Schmelzer – Schweinsteiger, Bender – Schürrle, Götze, Reus – Müller? Was ist denn das für ein bescheuertes Gedankenexperiment? Als würde sich der Fußball für so etwas wie Ethnien interessieren.

Fußballstars sind ein sehr undankbares Projektionsmaterial für gesellschaftliche Wunschvorstellungen wie zum Beispiel ein durchschlagend erfolgreicher Multikulturalismus. Es sind junge, erfolgreiche Multimillionäre, die von einem ganzen Tross von Lakaien verhätschelt werden. Spiegelt sich im Mannschaftsquartier von Danzig irgendeines der Probleme von sagen wir Neukölln?

Diese Illusion, den Multikulturalismus mit der Nationalmannschaft zu begründen, ist bisher noch immer in sich zusammengebrochen. Wir erleben gerade ein kleines Vorbeben mit der Diskussion über das Absingen der Nationalhymne (siehe dazu ad sinistram). Nicht ausgeschlossen, dass es einmal so weit kommt wie in Frankreich: dort feierte man die équipe nationale nach den Titeln von 1998 und 2000 als black blanc beur, eine neue, zeitgemäße Version des bleu blanc rouge. Die Illusion hielt zehn Jahre, nach dem Debakel in Südafrika zerbarst das ganze. Finkielkraut löste eine unschöne Debatte aus, als er sagte: „Man will kotzen bei dieser Generation von Vorstädtern. Man muss sich der ethnischen und religiösen Brüche, die diese Mannschaft untergraben, Gewahr werden. Die französische Nationalmannschaft ist eine Bande von Schurken, die keine Moral als die der Mafia kennt.“

Hyun sagt, sie sind so gut, weil sie multiethnisch sind. Finkielkraut sagt, sie sind scheiße, weil sie Neger sind. Und Muslime. Und aus der Banlieue. Es sind die gleichen Kategorien. Und weil es bei einer EM nur einen Gewinner gibt und 15 Verlierer, kann man sich ganz gut ausrechnen, welche der beiden Sichtweisen sich mehrheitlich durchsetzen wird.

— Schnipp —