Selten genug, dass man Hans Meyer widersprechen muss, aber dieses Mal geht es nicht anders. Fußball sei Religion, sagt er in der aktuellen 11freunde, zumindest für einige Menschen, aber eigentlich nicht der Fußball an sich, sondern nur ein Verein, der Lieblingsverein eben. „Je wichtiger die Fans ihn nehmen“, so Meier ganz pastoral, desto größer wird die Gefahr von Absolutheitsansprüchen. Die Ächtung und Verfolgung Andersdenkender ist dann, wie in jeder Religion, vorprogrammiert.“

Für den letzten Satz müsste Meier ex cathedra zu dreißig Rosenkränzen verdonnert werden, der ist nämlich in jeder erdenklicher Hinsicht Unfug: die meisten Religionen verfolgen keine Andersdenkenden, wir glauben das bloß, weil wir uns nur mit Christentum und Islam beschäftigen, die in der Hinsicht tatsächlich bösartig wie ein Lungenkarzinom sind.
Und zweitens führt fanatische Hingabe zu einer Religion nicht automatisch zur Aggression, siehe Mutter Teresa oder das Schweigegelübde.

Aber gut, Schwamm drüber, kommen wir zu einem viel verbreiteterem Missverständnis: Fussball ist ganz sicher keine Religion.

Das wir uns da nicht falsch verstehen: Natürlich kann man alles mit allem vergleichen, wie Volker Strübing einst völlig richtig anmerkte, „Äpfel mit Birnen, Jesus mit Hitler oder ein frisch gezapftes Bier mit dem Holocaust… obwohl, als ich das schon einmal behauptete, hat mich ein Kollege entsetzt angeschaut und gesagt: ‚Nichts ist mit einem frischgezapften Bier zu vergleichen!'“ Nur: macht so ein Vergleich Sinn?

Es gibt ein paar Dinge, die sich ähneln zwischen Kruzifix und Lattenkreuz: Der Fußball kennt Heilige und Legenden, es gibt liturgische Rituale, gemeinsame Gesänge zum Beispiel, es gibt sogar eine Art Eucharistie, nur nicht mit Wein und Brot, sondern mit Wurst und Bier. Und es gibt sogar Mission im Fußball, nicht so stark wie im Christentum, aber doch: Jeder fußballverrückte Vater versuche, seine Kinder davon zu überzeugen, dass sein Club auch der des Sohnes sein müsse, er kauft im Trikots, Bettwäsche, sonstige Devotionalien, er nimmt ihn mit zu Spielen, und wenn man so will, indoktriniert ihn förmlich. Und führt ihn in die Gemeinschaft ein. Und Gruppensolidarität bildet laut Durkheim sogar ein Wesensmerkmal der Religion.

Aber, aber, aber. In einem ganz entscheidenden Punkt unterscheiden sich Fußball und Religion halt doch. Dazu muss man momentan nur in Berlin in eine x-beliebige Kneipe gehen und darauf warten, dass Lasogga den Ball nicht voll trifft; passiert ständig, muss man nicht lang drauf warten. Und dann in die fassungslosen Gesichter der bedröpelten Herthaner sehen. Händeringend und, sofern sie noch welche haben, haareraufend sieht man sie dasitzen, das Gesicht zu einem einzigen „Warum?“ geformt, die reine, pure Verzweiflung.

Eine ähnliche Warum?-Szene gibts auch im Neuen Testament. Jesus hängt am Kreuz und fühlt sich auch sonst nicht sehr zuversichtlich, als ihm kurz vor Schluss der Satz von den Lippen fällt: „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“

Und genau da ist der Unterschied. Jesus fragt: Warum, Gott, hast Du das getan? Karl fragt: Warum, Lasogga, haust Du den Ball nicht dahin, wo er hingehört?

Oder kurz gesagt: Gott fragt man: Warum. Lasogga: Warum nicht, Du verdammte Pfeife.