Was mir auf den Sportseiten fehlt: Kapitalismuskritik. Selbst im Wirtschaftsteil jeder Zeitung wird inzwischen kritisch das System beäugt, die Financial Times bringt eine Besprechung Hessels, nur im Sportteil wird noch so getan, als wären wir in den kuscheligen 80ern. Wenn überhaupt angeprangert wird, dann Details. Oder Hoffenheim.

Wie könnte Kapitalismuskritik im Fußball aussehen? Also: Jenseits von „Stadionnamen verkaufen ist doof“?

Was wir momentan in anderen Ressorts erleben, ist ein massiver Vertrauensverlust in die Kraft des Marktes. Der Neoliberlismus hat moralisch abgewirtschaftet, und man hat festegestellt, dass die „autistische“ Ökonomie (Joseph Vogl) keine Antworten findet, sobald man existenzielle Fragen stellt: in der Krise zerfallen nämlich ihre Erklärungsmodelle.

Der Grund, warum das ökonomische Fach so lange Zeit konkurrenzlos die Deutungshoheit im gesellschaftlichen Diskurs hatte (und wohl immer noch hat), ist: es macht die (nahe) Zukunft für die Gegenwart verfügbar. Es ist im Grunde seines Herzens ideologisch. Da konkurriert es mit den Religionen und den großen Ideologien des 20. Jahrhunderts, bloß dass es mit Zukunft nicht „in tausend Jahren“ oder „nach dem jüngsten Tag“ meint, sondern „übermorgen“ oder „in drei Wochen“.

Konkret: So ein Aktienkurs ist im Grunde auch bloß eine Metapher. Man versucht, aus naher Vergangenheit und Gegenwart eine Prognose für die Zukunft eines Unternehmens zu errechnen, und damit so etwas wie eine Stabilität in das Zeitengefüge einzubauen. Das ist im Grunde völlig absurd, denn diese Kurse, die einen zu einer Bewertung und damit Meinung zu einem Unternehmen befähigen sollen, basieren selbst nur auf vergangenen Bewertungen und Meinungen. Finanzmärkte, nochmal Vogl, „funktionieren durch den Vertrieb von Meinungen über Meinungen und halten über Konformismen zusammen“.

Was wir lange Zeit erlebten und nach wie vor erleben, ist eine Art Dekadenz, die sich in einer Sucht nach Spektakeln, nach Ereignissen entlädt. Es hat etwas rührend verzweifeltes, das man immer wieder versucht, Alltäglichstes in eine Form zu pressen, als würden in ein paar Jahrhunderten Archäologen ganze Bibliotheken darüber vollschreiben. Das hysterische Geschrei der PR hat jahrelang in allen Ohren geklungen, sich aber irgendwann vollständig übersteuert: Was soll nach „Filmfilm“ noch kommen? Wie kann man das noch toppen? Und: für wie lange?

Der Fußball hat eine Lösung gefunden, die den Markt selbst feiert, wie es sonst keine Branche hinbekommen hat: das sind die Transfers. Ein Spieler wird verkauft, es wird mit Summen jongliert, Handgelder kolportiert, die Gehälter diskutiert, die Ablöse natürlich auch. Das ist der Clou: der Güteraustausch selbst wird plötzlich zum Ereignis. Das ist, als würde man zum Bäcker gehen, nicht weil man Brot kaufen will, sondern weil der Einkauf selbst so großartig ist (das Brot kann man dann ja wegwerfen oder weiterverkaufen). In der Zeit, in der das Transferfenster offen ist, sind nicht mehr „die Leistungen im Spiel, sondern die Leistungen auf dem Transfermarkt“ die Nachricht. „Das Produkt ist identisch geworden mit dem reinen Fluß des Geldes. Der Markt selbst wird verkauft“, schreibt Dirk Schlümmer.

Und nicht nur das. Es geht sogar noch eine Umdrehung weiter: Selbst wenn ein Transfer nicht zustandekommt, ist das schon eine Nachricht. Bei Spox kommt ein ellenlanger Artikel darüber, dass Pato den AC Mailand nicht verlässt. Das ist perfekt: Es ist weniger passiert als auf zwei Seiten Beckett, also: auf die Startseite damit.

Diese Redundanz, diese Selbstgefälligkeit des Marktes wird gerade allerorten angeprangert: dass er fortwährend Aufmerksamkeit für sich selbst einfordert, selbst dann, wenn er gar nicht stattfindet. Daran müsste eine fußballspezifische Kapitalismuskritik anknüpfen, und nicht an den Fantasiesummen, die für diesen oder jenen Spieler bezahlt werden. Fantasiesummen, die ja im Grunde nur eine Meinung sind, auf die wr uns dann mit einer anderen Meinung kommentieren. („So viel! Ist ja Wahnsinn!“)

To be continued.